Liebe Leserin, lieber Leser,
da bewirbt sich eine junge Frau um eine Stelle, legt die besten Zeugnisse vor und wird doch nicht genommen. Sie schreibt Bewerbung um Bewerbung, alle werden zurückgeschickt. Warum? Weil die Personalchefs sich auch in anderen Quellen informiert haben: ein paar blöde Fotos von einer Party im Internet, und die besten Zeugnisse sind wertlos. Aus der Traum von einer guten Stelle. Die Tür war einen Augenblick offen. Jetzt ist sie wieder zu, ist verrammelt und geht nicht mehr auf.
Verpasste und verpatzte Chancen, davon kann wohl jeder ein Lied singen. Nicht immer ist das unsre Schuld. Ich habe in jungen Jahren nicht gelernt Musik zu hören. Wir hatten keinen Plattenspieler, nur ein Radio mit Schlagermusik. Bei uns gab's auch keine Konzerte. Die Kirchenorgel diente nur dazu, den Gemeindegesang zu begleiten. Ein Instrument habe ich auch nicht gelernt, nur ein bisschen Blockflöte und dann ist die Lehrerin verunglückt und konnte nicht weiter machen. Die Tür zur Musik hat sich mir nicht geöffnet. Manchmal bedaure ich es. Aber eigentlich vermisse ich sie nicht, so wenig es mir Leid tut, dass ich keine Kartenhäuser bauen kann und noch nie auf einer Jagd war.
Es bringt nichts über Chancen zu grübeln, die wir nie hatten. Da werden wir leicht undankbar. Sehen wir doch lieber auf die Türen, die gerade aufgingen, als wir vorbeikamen. So ging mir's, als wir eine Wohnung für den Ruhestand suchten. 30 Objekte haben wir uns angesehen, an allen war etwas auszusetzen. Beim letzten wusste ich schon auf der Hinfahrt: "Das ist's" und es war's auch. Mut hatte mir ein Kärtchen mit einem Spruch gemacht, den mir kurz vorher jemand geschenkt hat: "Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, das hat Gott bereitet denen, die ihn lieben." (1 Korinther 2,9).
Warum aber mussten wir so lange und ergebnislos suchen? Wir brauchten eine Wohnung. Aber die "Tür" war noch nicht offen. Wir konnten nicht einfach dasitzen und warten, bis eine offene Tür vorbeikam. Wir können auch nicht warten, bis ein Arbeitgeber uns händeringend anfleht in seine Dienste zu treten oder bis uns die richtige Frau oder der richtige Mann über den Weg läuft. Suchen müssen wir selber.
Aber ich glaube fest, dass Gott für jeden von uns eine Lebensmöglichkeit bereit hält und dass er's uns zur rechten Zeit ins Herz gibt, danach zu suchen, wenn wir offen für ihn sind.
Es kann aber vorkommen, dass wir nach einiger Zeit wieder auf der Straße stehen und die Tür wieder zu ist. Auch das ist mir passiert. Aber jedes Mal durfte ich erfahren: Wo Gott uns eine Tür verschließt, macht er dafür eine andere auf.
Die offene Tür aus dem Monatsspruch ist aber keine Chance, die sich uns in unserm Leben bietet, sondern die Tür zum ewigen Leben. Auch wenn wir wie Paulus jahrzehntelang unterwegs sind, oftmals rausgeschmissen werden und keinen Erfolg haben, steht uns diese Tür immer offen.
Oder doch nicht? Wenn mir das Leben keinen Spaß mehr macht, kann ich ja nicht einfach durch die offene Tür abhauen, sondern ich muss warten, bis sie aufgemacht wird. Vorher habe ich aber noch anderes zu tun als Däumchen zu drehen.
Neulich las ich von einem Stamm in Brasilien, der nicht zählen kann, nur Mengen schätzen: "ein bisschen, ein paar, viel". Ein Forscher hat sich erfolglos bemüht, ihnen das Zählen beizubringen. Sie haben dafür keinen Sinn. Genauso gibt es Menschen, die ohne Religion aufgewachsen sind und die nie auf die Idee kämen, in Not eine höhere Macht um Hilfe zu bitten. Sie können sich auch nicht vorstellen, dass nach dem Tod noch ein ewiges Leben kommen könnte. Die Tür zum Glauben ist ihnen so verschlossen wir mir die Tür zur Musik. "Bekehren" kann man sie nicht. Sie können nichts für ihren Unglauben. Steht auch ihnen die Tür zum ewigen Leben offen?
Liebe Leserin, lieber Leser, ich bin froh, dass ich nicht Gott bin und darüber zu entscheiden habe. Er wird wissen, wie er sich zu verhalten hat.
Mit freundlichen Grüßen
Heinrich Tischner