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Monatsspruch Oktober 2012 – Der Herr ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. (Klagelieder 3,25)

Erschienen in Neues aus den Ortsvereinen von Heinrich Tischner 30 September, 2012

Liebe Leserin, lieber Leser,

Prophet sein bringt bloß Ärger, das hat Jeremia wieder und wieder erfahren müssen: Es glaubt ihm keiner. Er wird verspottet, bedroht, geschlagen, gemieden. Seine eigene Verwandtschaft hasst ihn. Er entgeht knapp ihrem Mordanschlag. Die Falkenpartei, die einen Krieg riskieren, ist gegen ihn und wollen sich seiner entledigen. Der Krieg, den die Falken wollten, führt zu einer Katastrophe. Jerusalem wird erobert, ein Teil der Einwohner verschleppt. Jeremia wird von den Siegern befreit und entscheidet sich, in der Heimat zu bleiben. Seine Landsleute nehmen ihn gegen seinen Willen mit nach Ägypten, dort soll er eines gewaltsamen Todes gestorben sein. Jetzt ist er berühmt und angesehen. Seine Predigten stehen in der Bibel und seine Leidensgeschichte dazu. Möchtet ihr mit ihm tauschen?

Jeremia hat unter diesen Belastungen sehr gelitten. Denn nicht nur die Menschen, sondern Gott selbst macht ihm das Leben schwer. Er überwältigt ihn mit Horrorvisionen von der Zukunft und zwingt ihn, sich unbeliebt zu machen.

Als Priester hatte er anscheinend die Aufgabe, in Notsituationen Fürbittgebete zu formulieren und vorzutragen. Anschließend hatte er Gottes Antwort auszurichten, ein traditionelles Trostwort wie am Ende unsrer Sündenbekenntnisse. Eine herzbewegende Klage wegen einer Trockenheit ist uns erhalten. Aber statt des Trostwortes kam die Antwort: "Du brauchst für dieses Volk gar nicht zu bitten. Sie hören nicht auf mich, darum höre ich nicht auf sie. Basta." (Kapitel 14) Es macht wirklich kein Spaß. Prophet zu sein. Und als sich Jeremia einmal darüber beschwert, dass ihm Gott das Leben so schwer macht, bekommt er die Antwort: "Hör auf zu jammern und tu deine Arbeit." (15,19-21)

Der Monatsspruch stammt nicht aus dem Buch Jeremia, sondern aus den fünf Klageliedern, die ein eigenes biblisches Buch bilden. Sie sind ähnliche Klagegebete wie das wegen der Trockenheit. Thema ist die Zerstörung Jerusalems. Das dritte Gebet, aus dem der Spruch stammt, beklagt nicht das allgemeine Elend, sondern die persönliche Not, denn auch mit den persönlichen Problemen und Glaubenszweifeln dürfen wir uns an Gott wenden. Die Verse 21-33 enthalten die Trostworte. Es scheint, als ob der Beter sie sich selbst zuspricht. Nachdem er Gott sein Herz ausgeschüttet hat, ist ihm leichter und er kommt auf andere Gedanken. Er beruft sich auf Gottes unwandelbare Treue. Er wird die nicht im Stich lassen, die zu ihm halten.

Auch wir haben manchmal solche Durchhänger und auch uns tun dann diese Worte gut. Aus diesem Grund wurde der Vers wohl von der Kommission ausgesucht als Monatsspruch für Oktober ausgesucht.

Ich habe ehrlich ein bisschen Bauchweh, wenn ich diese Trostworte lese, die nach dem Gießkannenprinzip über alle ausgeschüttet werden, die sich die Mühe machen, sich damit zu befassen. Denn Gottes Wort passt nicht für jede Gelegenheit. "Der Herr ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt" ist ein Zuspruch für Menschen, denen es schlecht geht, am Verzweifeln sind und an Gott irre werden. Dasselbe Wort den Selbstsicheren, Vorlauten und Rücksichtslosen gesagt, ist Wasser auf ihre Mühle. Wir dürfen sicher sein, dass Gott immer bei uns ist und uns nicht im Stich lässt. Aber er lässt sich nicht vor unsern Karren spannen. Gott hat einen eigenen Willen und tröstet nicht nur, sondern kritisiert auch. Seine Liebe besteht doch auch darin, dass er nicht mit ansehen kann, wie Einzelne, ganze Völker, die ganze Menschheit ins Verderben rennen. Deshalb schickt er die Propheten, als Warner und lästige Mahner. Er leidet unter den Zuständen. Und Jeremia musste das am eigenen Leib erfahren. Er hat das Leiden Gottes geteilt.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner