Liebe Leserin, lieber Leser,
was haltet ihr von …, na ihr wisst schon wer? Ich kann ja Ende Juni noch nicht ahnen, über wen man sich im August den Mund zerreißen wird. Wer und was es auch sein mag – wir sind uns einig: Es ist empörend. Wir protestieren. "Das kann man doch nicht machen. Das gehört sich nicht! Es ist eine Schweinerei! Die soll zurücktreten! Dem muss man schnellstens das Handwerk legen! Die sollen blechen, bis sie schwarz werden. Nein, das ist nicht genug: Lebenslänglich! Rübe runter!"
Und schnell sind wir dabei, über Menschen zu urteilen, die wir nicht kennen. Ich habe eben sogar ein Pauschalurteil gefällt über Vergehen, die noch gar nicht begangen wurden. Wie ein Vordruck, bei dem man bloß noch die Daten eintragen und die Optionen ankreuzen muss. Ein Vor-Urteil. Nein, so kann man es wirklich nicht machen!
Jesus hat sich mehrfach zu diesem Thema geäußert: "Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet." Denn Gott könnte beim Endgericht dieselben Maßstäbe anlegen, mit denen wir messen. Wir haben aber alle Dreck am Stecken bzw. Splitter und Balken in den Augen (Matthäus 7,1).
Jesus hat das für seine Person sehr ernst genommen. Als Rabbi war er nicht nur Theologe, sondern auch Jurist. Er hatte die Thora auszulegen und anzuwenden. Ausgelegt hat er sie. Aber er hat sich zweimal geweigert, als Richter zu tätig zu werden. Und zwar nicht als Privatmann, was ja niemand zusteht, sondern als Kenner der Gesetze.
Der erste Fall ist bekannt: Er weigert sich in einem Strafprozess ein Urteil zu sprechen: Er verurteilt die Ehebrecherin nicht, sondern sagt. "Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie." (Johannes 8,1-11) Denn auf Ehebruch stand die Steinigung. Jesus sagt nicht: "Das kann doch mal passieren" oder "Ich kann das verstehen". Er sucht sie nicht zu entschuldigen und protestiert auch nicht gegen die vorgeschriebene harte Strafe. Sondern er hält sich an seine eigenen Grundsätze: Er spricht kein Urteil und verweist die Ankläger auf die Splitter und Balken in ihren Augen.
Der zweite Fall ist nicht so geläufig: Jesus weigert sich auch, in einem Zivilverfahren ein Urteil zu sprechen. Jemand bittet ihn: "Sage meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teilen soll." Jesus lehnt ab: "Ich bin kein Richter oder Erbschlichter" und fügt hinzu: "Hütet euch vor der Habgier." (Lukas 12,13-15).
Das ist unser Jesus! Konsequent und kompromisslos in seinem eigenen Verhalten. Er steht hinter dem, was er sagt, und hält sich selber dran. Bewundernswert!
Auch nach dem Johannesevangelium lehnt Jesus ab, den Richter zu spielen. Einmal hier im Monatsspruch: Jesu Gegner wissen schon im Voraus, was sie von ihm zu halten haben: Er kann nicht von Gott kommen. Sie lehnen ihn ab. Ein typisch menschliches Vorurteil: Wir sind dagegen, ohne uns genau informiert zu haben. Wir verurteilen, ohne verstanden zu haben.
Wenn Jesus im folgenden Vers sagt: "Wenn ich aber richte, so ist mein Richten gerecht", geht's nicht um einen Richterspruch, sondern um ein Gutachten. Was Jesus sagt, ist nicht ins Blaue hinein geredet, sondern hat Hand und Fuß. Prüft's doch mal nach und probiert's doch mal aus, statt gleich dagegen zu sein!
Die andere Stelle überbietet alles bisher Gesagte: "Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, um die Welt zu retten, nicht um sie zu richten und zu verurteilen." (Johannes 3,17). Entgegen der auch heute noch geläufigen Vorstellung wird beim Jüngsten Gericht niemand verurteilt oder freigesprochen. Sondern wer nicht auf Jesus hört, der rennt jetzt schon in sein Verderben und macht sich selbst kaputt. Wenn wir uns das Leben jetzt schon zur Hölle machen, kann es im Jenseits auch nicht besser werden. Und umgekehrt: Wenn wir jetzt schon von Gottes Liebe erfüllt sind (und das meint Jesus, nicht das Halten irgendwelcher Gebote), was soll sich da noch im Jenseits ändern?
Was halten wir also von …, na ihr wisst schon wer? Betrachten wir ihn doch mit den Augen Jesu, mit den Augen Gottes, mit den Augen der Liebe! Da brauchen wir uns nicht die Hand vor den Mund zu halten, um kein unrechtes Wort zu sagen. Sondern da sehen und denken wir ganz anders und werden auch anders reden.
Mit freundlichen Grüßen
Heinrich Tischner